Zahnjournal Ausgabe 6 / Juni 2013
Zähne, Kiefer und Körper wirken zusammen. Gerade wenn Patientinnen und Patienten über Verspannungen, Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen, Tinnitus und andauernde, eher diffuse Zahnschmerzen klagen, richten heute viele Zahnärzte ihren Blick auf Funktionsstörungen in der Kaumuskulatur und im Kiefer. Längst konnten Wissenschaftler nachweisen, dass durch eine fehlerhafte Stellung der Kiefer zueinander die Kopf- und Körperhaltung negativ beeinflusst werden kann.
In einer umfangreichen Untersuchung klärt der Zahnarzt zunächst die Ursachen für die Beschwerden. Denn: Die diffusen Schmerzen im Mund- und im Kieferbereich können verschiedene Ursachen haben, die unterschiedliche Behandlungen erforderlich machen. Dabei können - je nach Diagnose -auch andere Heilberufe zur unterstützenden Therapie mit einbezogen werden.
Abnutzungserscheinungen an den Zähnen oder beschädtigte Ränder von Zahnfüllungen, an denen sich Karies gebildet hat, sind oft Anzeichen für nächtliches Zähneknirschen. Auch Störungen im Zusammenbiss oder schlechtsitzender Zahnersatz - also fehlerhafte Zahnkontakte - führen zu verstärkter Muskelaktivität in den Kiefergelenken.
Entstehen die Beschwerden durch Knirschen, hilft in der Regel eine Aufbissschiene (Okklusionsschiene). In enger Zusammenarbeit mit dem Zahntechniker wird diese individuell für den Patienten geplant und im Dentallabor angefertigt. Wird die Aufbissschiene regelmäßig getragen, sorgt sie schon bald für eine spürbare Entspannung der Kaumuskulatur. So werden Symptome wie Kopfschmerz gelindert. Die starke und schädliche Abnutzung der Zähne wird gestoppt. Damit die Aufbissschiene sicher wirkt, muss sie im Verlauf der Therapie regelmäßig angepasst werden. Diese Aufgabe übernimmt der Zahnarzt.
Ursache für die Funktionsstörungen in der Kaumuskulatur kann ebenso eine fehlerhafte Körperhaltung sein. Eine Fehlfunktion der Halswirbelsäule erhöht die muskuläre Aktivität tagsüber und während der Nacht. In einigen Fällen wird der Zahnarzt einen Orthopäden zur Untersuchung und Mitbehandlung hinzuziehen, beispielsweise dann, wenn die Ursachen für die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule lokalisiert werden. Leidet der Patient unter starken und dauerhaften Schmerzen, ist eine Mitbehandlung durch den Schmerztherapeuten zu bedenken.
Auch der Physiotherapeut oder Osteopath können in bestimmten Fällen die zahnärztliche Therapie effektiv ergänzen. Durch die gezielte Behandlung der Kaumuskulatur werden die Kiefergelenke entlastet. In der Kombination mit der Aufbissschiene reicht dies oft, um die Erkrankung zu heilen. Falls orthopädische Probleme der Auslöser für die Funktionsstörungen waren, werden durch die physiotherapeutische Behandlung die eigentlichen Ursachen korrigiert.
Im Volksmund verbreitete Aussagen wie "sich durchbeißen", "die Zähne zusammenbeißen" oder auch "auf dem Zahnfleisch kriechen" machen deutlich: Nicht immer haben die unerklärlichen Zahnschmerzen und Beschwerden eine organische Ursache. Oft ist Stress und Anspannung im privaten oder beruflichen Bereich die Ursache für die Funktionsstörungen in der Kaumuskulatur. Dann wirken die Zähne als Stressbarometer: Es kommt zu einer großen Aktivität der Kaumuskeln mit vermehrten Verspannungen, was häufig auf nächtliches Pressen oder Knirschen der Zähne zurückzuführen ist. Nachts werden also die Probleme des Tages immer wieder "durchgekaut". Auch in diesem Fall trägt der Patient am besten eine Aufbissschiene, die individuell für ihn im Dentallabor gefertigt wird. So schützt er seine Zähne vor möglichen Folgeschäden, die Anspannung allerdings bleibt.
Hier können in vielen Fällen Entspannungstechniken wie die Muskelentspannung nach Jacobsen oder die Biofeedback-Methode helfen. Je nach Stärke der Beschwerden und der individuellen Situation wird der Zahnarzt seinem Patienten eine einmalige Vorstellung oder auch eine Behandlung durch den Psychotherapeuten anraten, um zu klären, ob psychische oder seelische Faktoren die Beschwerden mit verursachen.
Die frühe Diagnose und Behandlung einer Funktionsstörung der Kaumuskulatur kann eine schnelle Linderung oder Heilung erheblich fördern, da sich Beschwerden und Schmerzen noch nicht stark verfestigt haben. Zu Beginn steht in der Regel die so genannte reversible Behandlung, beispielsweise mit einer Aufbissschiene, die vom Zahntechniker im Dentallabor individuell gefertigt wird. Im weiteren Verlauf der Behandlung kann der Zahnarzt die Möglichkeit prüfen, die fehlerhaften Zahnkontakte durch Einschleifen der Zähne zu beheben. In einigen Fällen werden restaurative Maßnahmen erforderlich, die allerdings meist mit erheblichem Aufwand verbunden sind.
Bei der Diagnostik und Behandlung von Funktionsstörungen der Kaumuskulatur wirken - je nach Diagnose - verschiedene Heilberufe unterstützend mit. Nach heutigem Wissensstand befürworten viele Wissenschaftler die Zusammenarbeit in Teams verschiedener Fachrichtungen. Einen solchen gemeinsamen Ansatz verfolgt zum Beispiel das CMD-Zentrum Hamburg-Eppendorf, das innerhalb des Centrums für innovative Medizin zu finden ist. Die ganzheitlich orientierte Medizin sieht darüber hinaus Zusammenhänge zwischen den Zähnen, den Organen und allen anderen Körperregionen.